Fachtagung Jugend und Sexualität

Neue Herausforderungen für die Sexualpädagogik?

Sexualität in ihren leiblichen und persönlichkeitsbezogenen Dimensionen unterliegt über die gesamte Lebensspanne hinweg Prozessen der Reifung und Entwicklung. Dennoch gilt vor allem die Phase der
Pubertät und Adoleszenz als besonders prägend und veränderungsreich. Die gesellschaftliche Konstruktion einer spezifischen Jugendsexualität ist dabei auffallend häufig durch die Betonung krisenhafter Merkmale gekennzeichnet. Zugespitzt als „Moralpaniken“ bezeichnet, treten in der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung einem fast regelmäßig erscheinenden Muster folgend immer wieder Themen hervor, die als Indikatoren einer fortschreitenden sexuellen Verwahrlosung junger Menschen interpretiert werden. Schlagwörter wie Teenagerschwangerschaften, Generation Porno oder aktuell Sexting liefern dabei die jeweilige Überschrift eines sich fortsetzenden Diskurses, der sich bis zur „Onanie-Debatte“ des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt.

Glaubt man aktuellen Umfragen zur Jugendsexualität, macht Aufregung und Sorge um die nachwachsende Generation wenig Sinn. Sie verhüten gut, sind partnerschaftlich und haben die romantische Liebe als Leitstern im Blick. Diese empirischen Befunde zur Sexualität von Jugendlichen, die in ihrer Gesamtheit der vielbeschworenen Verwahrlosung eher entgegenstehen, werden hingegen auffallend ignoriert. Es stellt sich somit die Frage, woraus sich dieser Diskurs speist, der rational-empirischen Argumenten so wenig zugänglich ist und umgekehrt isolierte Phänomene und Einzelfälle für die kollektive Be- und Verurteilung aller jungen Menschen unkritisch instrumentalisiert und der seinerseits maßgebliche Implikationen für die (sexual-)pädagogische Arbeit mit Heranwachsenden verursacht.

Im Sinne von sexueller Bildung als einer Grundlage für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen ist es notwendig, das Bild von Jugendsexualität zu reflektieren und zu markieren, welche Anteile der Darstellung von jugendlichem Sexualverhalten auch der Projektion der Ängste von Erwachsenen und deren Unbehagen geschuldet sein mögen. Dies gilt umso mehr für pädagogisch-professionell Tätige, die mit Jugendlichen (sexual-)pädagogisch arbeiten.

Die Fachtagung will der Diskrepanz zwischen öffentlicher Diskussion und empirischen Befunden auf den Grund gehen, Grundlagen der sexualpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen aufzeigen, zu den Inhalten von sexualpädagogischen Bildungsangeboten diskutieren und so sexualpädagogische Perspektiven als Teil pädagogischer Professionalität markieren.

Tagungsprogramm

09.30 Uhr Stehkaffee und Anmeldung
10.00 Uhr Begrüßung und Einführung in die Fachtagung
10.30 Uhr Vortrag: Zwischen Hysterie und Wirklichkeit – Jugendsexualität im sozialen Wandel

Referent:
Prof. Dr. Arne Dekker, Institut für Sexualforschung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

11.30 Uhr Kaffeepause
11.45 Uhr Moderierte Kleingruppen
12.45 Uhr Mittagspause
13.45 Uhr Einführung in den Nachmittag
14.00 Uhr Workshops
16.15 Uhr Ende der Fachtagung

Anschließend Nach- und Ausklang

Workshops

Workshop 1: Jugendsexualität zwischen Wahrheit, Wirklichkeit und Dichtung – Sexualpädagogische Grundlagen in der Arbeit mit Jugendlichen

Referent: Michael Hummert

Trotz vieler häufig anders lautender Bekenntnisse ist der Fokus auf die (nicht nur sexuelle) Lebenswirklichkeit von Jugendlichen häufig durch eine defizitäre Wahrnehmung geprägt. Eine einseitig die Jugend verherrlichende Wahrnehmung und die Jugendlichen alleine lassende Haltung ist andererseits genauso wenig ratsam.

Was lässt sich jenseits einseitiger Fokussierung tatsächlich einigermaßen gesichert als Wahrheit bezeichnen? Zwar gibt es nicht DIE Jugend – doch lässt sich für viele Jugendliche sagen, dass sie die Aufgabe Schöpfer*innen ihrer eigenen Welt zu sein nicht nur annehmen, sondern ziemlich gut meistern.
Es gilt also im Detail zu überprüfen:
- Was wissen wir denn gesichert, können es also für wahrnehmen?
- Welche Einschätzungen sind vor allem unserer persönlichen Wirklichkeit, unseren Erfahrungen und unserer Zielgruppe geschuldet?

Wenn diese Fragen geklärt sind, kann es gelingen die Jugendlichen selbst wieder als agierende Wesen wahrzunehmen. Und für Jugendliche stellt das Entwickeln einer Vorstellung von gelingender Sexualität keine leichte Aufgabe dar. Der Workshop will also der zentralen Frage auf den Grund gehen: Was kann ich den Jugendlichen, mit denen ich arbeite, anbieten, um ihnen eine wirkliche „Hilfe“ zu sein.

Workshop 2: Verhandeln, performen, lustvoll masturbieren! – Was sollen Jugendliche lernen, um sexuell gebildet zu sein?

Referent: Reiner Wanielik

Sexualpädagogisch gut fortgebildet, die Kulturdifferenzen im Blick, geschlechtergerecht und natürlich, im Sinne von Vielfalt der Sexualitäten, schwärmen die sexualpädagogisch Arbeitenden aus um den laut Umfragen seit gut 20 Jahren hohen Wissensstand zu Sexualität und die hohe Verantwortung in Sachen Partnerschaft und Verhütung von Jugendlichen zu erhalten oder gar zu verbessern.

In dieser luxuriösen Situation ist die Frage interessant, was sollen Mädchen und Jungen noch wissen und lernen, um sexuell gebildet zu sein? Wie sieht ein Curriculum aus, das nicht nur das Wissen um und von Sexualität im Blick hat? Wie stellen sich Menschen einen in seiner Sexualität voll entwickelten Erwachsenen vor? Was muss man können, wissen, berücksichtigen, um sich sexuell weiter zu entwickeln? Soll es Unterstützung geben bei der Entwicklung hin zu einem guten Liebhaber, einer guten Liebhaberin? All diese Fragen stellen sich mitunter auch denen, die sich als Pädagog*innen um das (sexuelle Wohl) von Jugendlichen bemühen und werden uns auch im Workshop beschäftigen.

Workshop 3: Alles möglich oder was?! Diversity in Theorie und Praxis / Zwischen Möglichkeiten und Grenzen

Referentin: Doris Eberhardt

Dass es nicht nur weiblich, männlich, hetero, homo, Eltern-Kind-Familien sowie „Blümchensex“ gibt, ist für Jugendliche nichts Neues mehr. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind im „real life“ und in den Medien viel präsenter als noch vor 20 Jahren. Bei Facebook gibt es 60 Wahlmöglichkeiten von „androgyn bis Zwitter“, Patchwork- und Regenbogenfamilien sind keine Ausnahme mehr und sexuell ist alles erlaubt, was allen Beteiligten gefällt. Alles ist gleichberechtigt nebeneinander möglich und lebbar – zumindest „auf dem Papier“. Eine Sexualpädagogik der Vielfalt ist in unserer pluralen Gesellschaft unverzichtbar, um Jugendliche im Rahmen ihrer Möglichkeiten dabei zu unterstützen, so sein zu dürfen, wie sie möchten – ohne ausgegrenzt zu werden oder selbst auszugrenzen.

Dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit jedoch oftmals Welten liegen, zeigt sich bspw. an der aktuellen Debatte um eine Sexualpädagogik der Vielfalt. Was genau bedeutet und bewirkt eine solche Debatte für (sexual-)pädagogische Fachkräfte – was aus dem theoretischen Diskurs ist bereits im Alltag bekannte und gelebte Wirklichkeit und was sind immer wiederkehrende sowie neue Herausforderungen und Schwierigkeiten zwischen Theorie und Praxis? Diesen Fragestellungen möchten wir uns im Workshop widmen.

Workshop 4: Welche „Qualitätsmerkmale“ benötigen Pädagog*innen, um mit Jugendlichen zum Thema Sexualität zu arbeiten?

Referent: Bernd Christmann

Unabhängig vom konkreten Handlungsfeld kann die Behauptung aufgestellt werden, dass in jeglicher Form der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen das Thema Sexualität immer wieder eine Rolle spielt. Konfrontiert mit sexuellen oder sexualisierten Verhaltes- oder Verbaläußerungen von Adressat*innen sehen pädagogische Fachkräfte sich vor die Frage gestellt, mit welcher Haltung sie diesen begegnen können oder sollen und welche Qualifikationen ein pädagogisch-professioneller Umgang damit erfordert.

Beim Blick in den Forschungsdiskurs wird deutlich, dass nicht nur reine Wissensdimensionen von Bedeutung sind, sondern auch persönlich und fachliche Anteile und Haltungen für das Gelingen von (sexual-) pädagogischer Arbeit notwendig sind. Insbesondere wird hier neben dem Erwerb von fachspezifischem Wissen auch die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion und zur offenen Kommunikation über Sexualität benannt.

Dieser Workshop möchte mit Blick auf die häufige Tabuisierung von Sexualität in der pädagogischen Grundausbildung die Frage nach möglichen „Qualitätsmerkmalen“ und fachlichen sowie persönlichen Voraussetzungen thematisieren. Darüber hinaus sollen Möglichkeiten erörtert werden, wie und ob Fachkräfte sich diese systematisch aneignen und anwenden können und welche weiteren Qualifikationen für einen professionellen Umgang mit der Sexualität von Jugendlichen von Bedeutung sind.

Veranstalter

Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Erziehungswissenschaft
Arbeitsgruppe „Pädagogische Professionalität gegen sexuelle Gewalt“
Georgskommende 33 | 48143 Münster
martin.wazlawik@uni-muenster.de

In Kooperation mit dem Institut für Sexualpädagogik.



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